Verdrängte
Vergangenheit in Rumänien
Präsident
Iliescu und der Umgang mit alten Protégés
Der
zu langer Haft verurteilte ehemalige Führer der rumänischen
Bergarbeiter, Cozma, hat bei Präsident Iliescu ein Gesuch
um Begnadigung eingereicht. Gleichzeitig haben sich zwei ehemalige Schergen
der Ceausescu-Polizei ihrer Strafe durch Flucht entzogen. Ohne äusseren
Druck droht Rumäniens Vergangenheitsbewältigung
zu ruhen.
Wok.
Zagreb, 24. Juli
Der
vor viereinhalb Jahren festgenommene und zuvor zu einer 18-jährigen
Gefängnisstrafe verurteilte Führer der rumänischen
Bergarbeiter, Miron Cozma, hat am Mittwoch durch seinen Anwalt bei Präsident
Iliescu ein Gnadengesuch eingereicht. Cozma hatte im Februar 1999 einen
Protestmarsch von Bergarbeitern aus dem Schil- Tal nach Bukarest angeführt,
in dessen Verlauf zwei Personen ums Leben gekommen und Dutzende verletzt
worden waren. Er war zuvor vom Obersten Gericht wegen seiner führenden
Rolle bei den sogenannten Bergarbeiter-Unruhen im Jahre 1991 verurteilt
worden. Nach dem Sturz Ceausescus waren die Kumpel zwischen Juni 1990 und
September 1991 in Bukarest mehrmals mit brachialer Gewalt gegen protestierende
Studenten und Oppositionelle vorgegangen und hatten auf diese Weise den
Rücktritt der ersten postkommunistischen Regierung unter
Petre Roman erzwungen. Es gilt als sicher, dass die Bergleute damals das
Wohlwollen von Präsident Iliescu hatten oder gar auf dessen
Geheiss hin handelten. Der Präsident bestritt dies immer.
Flüchtige
Schergen
Iliescu
befindet sich nach einem Unterbruch von vier Jahren seit 2000 wieder im
Amt des Präsidenten. Die zu Sozialdemokraten mutierten ehemaligen
Kommunisten stellen unter Ministerpräsident Nastase seither
wieder die Regierung. Die liberale Opposition wie auch die Mehrheit der
aufgeklärten rumänischen Intellektuellen
vertreten die Auffassung, dass Ceausescus Sturz innerhalb der KP vorbereitet
wurde und einige der damaligen Drahtzieher und deren AbkÃmmlinge
heute die Geschicke des Landes leiten. In dieser von Historikern bestätigten
Sichtweise hat in Rumänien ein Machtwechsel nur dem Scheine
nach stattgefunden. Es erstaunt vor diesem Hintergrund daher nicht, dass
Iliescu die gegen Cozma verhängte Gefängnisstrafe
Ãffentlich unlängst als übertrieben
hoch bezeichnet hatte. Der Bergarbeiterführer, der vor und
nach seiner Verurteilung auf die Unterstützung der rechtsextremen
und ultranationalistischen Grossrumänien-Partei von Vadim
Tudor zählen konnte, hatte bereits im August 2001 erfolglos
ein Gnadengesuch eingereicht. Tudors Partei hat sich in Rumänien
zum Sammelbecken der Verlierer des Transformationsprozesses entwickelt.
Dazu zählen auch ehemalige AngehÃrige von Ceausescus
Securitate, dem alle Lebenssphären dominierenden ehemaligen
Geheimdienst.
Wenn
Cozma die Strafe durch Iliescu erlassen werde, so sei dies als eine Art
von Komplizenschaft zu sehen, wird der liberale Senator Alexandru von der
Agentur Reuters zitiert. Wie sich Iliescu in der kommenden Woche nach der
Rückkehr aus seinen Ferien am Schwarzen Meer entscheiden
wird, ist noch offen. Eigentlich kÃnnte sich der Präsident
rühmen, dass die Justiz des Landes in der Vergangenheitsbewältigung
einen Schritt vorangekommen ist. Vor zehn Tagen sind zwei der übelsten
Schergen von Ceausescus Repressionsapparat zu je 22 Jahren Haft verurteilt
worden. Den beiden ehemaligen Obersten der Polizei, Tudor Stanica und Mihail
Creanga, wurde angelastet, im Jahre 1985 den dissidenten Ingenieur Gheorghe
Ursu zu Tode gefoltert zu haben. Während Creanga als brutaler
Folterknecht einschlägig bekannt war, gilt Stanica, so urteilt
die Tageszeitung «Evenimentul Zilei», als Beispiel
eines jener Ceausescu-Schergen, die vom Systemwechsel schamlos profitierten.
Stanica wechselte offenbar nach 1989 seine Weste und soll als Bankier mit
undurchsichtigen Geschäften zu beträchtlichem
Reichtum gekommen sein. «Macht und Geld blieben auch nach
Ceausescus Sturz in denselben Händen», schreibt
die Zeitung.
Die
Genugtuung in der Öffentlichkeit über die Bestrafung
der beiden ehemaligen Polizisten währte nicht lange. Unmittelbar
nach Bekanntwerden des Urteils waren die beiden wie vom Erdboden verschlungen
und wurden seither nicht mehr gesehen. Dass gegen sie überhaupt
ein Prozess angestrengt worden sei, so schreibt «Evenimentul
Zilei», sei nicht als Zeichen eines Gesinnungswandels innerhalb
der rumänischen Justiz zu deuten. Ausschlaggebend für
das Aufrollen des Falles Ursu seien die Unnachgiebigkeit von dessen Familie
gewesen sowie die Anstrengungen einheimischer Menschenrechtler und Druck
aus dem Ausland.
Von
offizieller Seite wird Rumäniens Vergangenheitsbewältigung
ein geringer Stellenwert eingeräumt. In der andauernden
Kontroverse um die VerÃffentlichung von Namen ehemaliger Securitate-Offiziere
mahnte Präsident Iliescu indirekt zu Zurückhaltung.
Mitte Monat forderte er zwar Ãffentlich, dass alle Bürger
Einsicht in die über sie erstellten Securitate-Akten erhalten
sollten. Gleichzeitig fügte er aber an, er selbst sei an
einer Akteneinsicht nicht interessiert. Die Äusserung wurde in
kritischen Kreisen als eine klares Zeichen interpretiert: Wenn sich schon
der Präsident nicht um die Repression der Vergangenheit
kümmert, dann sollen es auch die einfachen Bürger
besser bleiben lassen.
Schleppende
Durchforstung der Archive
Unterdessen
trifft sich die zur Aufarbeitung der Securitate-Akten eingesetzte elfkÃpfige
Kommission wieder zu regelmässigen Sitzungen, nachdem deren
Funktionieren wegen der Obstruktion regierungstreuer Mitglieder während
Monaten verhindert worden war. Beobachter sehen die Wiederaufnahme der
Arbeit der zuvor von Regierungsseite Ãffentlich kritisierten Kommission
in Zusammenhang mit Rumäniens angestrebtem EU-Beitritt.
Wenn alles nach Fahrplan läuft, sollte Bukarest im kommenden
Herbst den Beweis einer funktionierenden Marktwirtschaft erbringen kÃnnen.
Es macht sich sicher gut, die in Menschenrechtsfragen oft sensibel reagierenden
Europäer auf diesen Zeitpunkt hin günstig
zu stimmen. Allerdings kommt die Arbeit der Untersuchungskommission wegen
interner Sabotierung und behÃrdlicher Schikane nur sehr langsam
vom Fleck. Der Publizist Horia-Maria Patapievici, der gemeinsam mit andern
PersÃnlichkeiten der rumänischen Intelligenz in der
Kommission tätig ist, sagte unlängst gegenüber
«Transitions Online», beim vorgegebenen Tempo
werde die Durchforstung der Archive 150 Jahre dauern.